Hallo, mein Name ist Robbie Doyle. Ich bin Folksänger und spiele traditionelle irische Musik.
Ich wurde nahe dem Bahnhofsgebäude des kleinen irischen Dorfes Ballyhale im County Kilkenny geboren, wo mein Vater als Stationsvorsteher arbeitete. Meine Mutter war eine hart arbeitende Hausfrau und die Mutter von gleich sechs Kindern, genauer gesagt von fünf Mädchen und mir - dem einzigen Sohn. Das Irland der 1950er Jahre war ein von großer Armut geprägtes Land, das hauptsächlich von der Landwirtschaft lebte und unter der nach wie vor großen Zahl von Auswanderern litt. Wir lebten damals in einer ländlichen Gegend in der sich jeder glücklich schätzen konnte, der einen der seltenen Jobs ergattert hatte. Für Freizeitaktivitäten gab es im allgemeinen weder Zeit noch Geld, und wenn sich doch einmal die Gelegenheit bot, unterhielten sich die Leute hauptsächlich mit gälischen Spielen, Musik und Tanz. Meine Mutter besaß eine wundervolle Gesangsstimme und hatte die Angewohnheit, während der Verrichtung ihrer Hausarbeiten oft stundenlang zu singen, manchmal auch im Duett mit dem Radio. Hätte sie nicht eine Familie erziehen und ein Heim unterhalten müssen – sie hätte durchaus eine Karriere als professionelle Sängerin anstreben können. Ich habe das große Glück, nicht nur ihr Gesangstalent, sondern auch ihre warme Persönlichkeit geerbt zu haben, eine Gabe, die sich im Laufe der Jahre – und nicht nur auf der Bühne! – als wahrer Schatz erwiesen hat. Abgesehen von den häuslichen Gesangsdarbietungen meiner Mutter gehört zu meinen frühesten musikalischen Erinnerungen auch die an eine der „Country Fairs“ (ländliche Festveranstaltungen), auf der ich zum ersten Mal erlebte, wie traditionelle irische Musik live dargeboten wurde. Noch heute kann ich mich an viele der Lieder und Melodien erinnern die ich damals – gerade drei Jahre alt – hörte, während Peg und Bobby Clancy auf der Piltown Fair im County Kilkenny spielten.
County Clare
Der Beruf meines Vater als Bahnhofsvorsteher brachte es mit sich, dass wir alle paar Jahre von einem Teil Irlands in den nächsten ziehen mussten, und so verschlug es uns schließlich auch nach West-Clare. Man sagt, dass hier in Clare der Ursprung und die Wiege der irischen Musik liegen, und so gehört die Zeit, die wie hier verbrachten, auch zu den schönsten Erinnerungen meiner Kindheit. Noch heute pflegen wir die Kontakte, die wir damals hier knüpften. Wir lebten in einer kleinen, nahe der Atlantikküste gelegenen Marktstadt namens Ennistymon, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Klosterschule besuchte. Die dort unterrichtenden Nonnen habe ich als sehr freundliche, gute Lehrerinnen in Erinnerung, und bald lernte ich nicht nur meine ersten Worte Gälisch, auch viele Geschichten und Lieder fanden neben dem üblichen Unterrichtsstoff ihren Weg auf meinen Stundenplan. Clare pulsierte ständig vor Musik, und so waren auch die „House Dances“ sehr beliebt, denn zur damaligen Zeit beherrschte noch jeder die „Sets“, die traditionellen Tänze Irlands. Die Musik wurde üblicherweise von drei bis vier Musikern gespielt, die zwischen den Sets bisweilen auch mal ein Lied zum Besten gaben. Die großen Tanzveranstaltungen hingegen wurden in den Gemeindesälen abgehalten, und hier kam die Musik auch von den größeren Ceìli Bands, die meist nach den Orten ihrer Herkunft benannt waren, wie z.B. die „Tulla“- oder auch die „Kilfenora Ceìli Band“. Während der Sommermonate verbrachten wir viel Zeit am Meer, an einem nur wenige Kilometer von Ennistymon entfernten Ort namens Lahinch, wo wir schwammen, am Strand spielten oder zwischen den riesigen Sanddünen oft stundenlange Picknicks abhielten. Manchmal reisten wir auch die Küste hinauf bis zu den Cliffs of Moher und beendeten unsere Fahrt in Doolin, wo wir den Fischern bei der Arbeit zusahen und eine kalte Limonade in "Gussie O’Connors Pub" tranken. Hatten wir besonders großes Glück, dann konnten wir der Familie Russel zuhören: Miko, Packie und Gussie, die zusammen die wundervolle traditionelle Musik der Region vortrugen. Das County Clare und die berühmte West-Clare Eisenbahn wurden in vielen Liedern und Geschichten verewigt, allen voran von Leuten wie Percy French. Als nun die Eisenbahn in den späten 50er Jahren schließlich ihren Betrieb einstellte, hatte auch mein Vater - der letzte Bahnhofsvorsteher! - viele eigene Geschichten zu erzählen.
County Waterford
Nach der Stillegung der West-Clare Eisenbahn zogen wir weiter nach Waterford. Die schöne Stadt Cappoquin, unsere neue Heimat, schmiegte sich an den Fuß der Knockmealdown Mountains im Westen der Grafschaft Waterford, unweit der Ring Gaeltacht. Hier wendet sich der Blackwater-Fluß ein letztes Mal nach Süden, um dann schließlich bei Youghal in den Ozean zu münden, und hier, in dieser Gegend, war es auch, wo ich einige der glücklichsten Tage meines Lebens verbrachte. Nach einer kurzen Zeit an der örtlichen Klosterschule wechselte ich an die Boys National School. Ich hatte das Glück, in Mrs. Scanlan eine hervorragende und aufmerksame Lehrerin gefunden zu haben und so wurden meine Zensuren und Leistungen stetig besser und besser; vor allem meine Beherrschung der gälischen Sprache machte große Fortschritte. Um diese Zeit herum begann ich auch, bei einer umherreisenden Tanzlehrerin, Mrs. Hallahan, die jeden Mittwoch unsere Schule besuchte, die traditionellen irischen Tänze zu erlernen und wurde schon nach kurzer Zeit ein richtiger Experte. Eines Tages kaufte mein Vater mir ein Akkordeon und ich nahm Unterricht bei einem älteren Herren, Pop Sargent. Manchmal, während ich spielte, ließen Pop und seine Frau es sich nicht nehmen, gemeinsam zu meinem Akkordeon zu singen – was immer ein riesiger Spaß wurde. Wenn er keinen Unterricht gab, führte Pop die örtliche Tankstelle und hier hatte ich oft die Gelegenheit, den berühmten Hollywood-Star Fred Astaire zu sehen, der in der Gegend seinen Urlaub verbrachte und auf seinen Spritztouren bei Pop vorbeikam um zu tanken. Ich hing damals mit einer kleinen Gruppe von Jungs herum, an die ich mich immer als die "Huckleberry Finns" erinnern werde. Wenn wir nicht im Fluß schwammen oder fischten, spielten wir Hurling (ein irisches Ballspiel) oder begaben uns in der Stadt oder der näheren Umgebung auf die Suche nach anderen Abenteuern. Oft half ich auch den Bauern der Gegend, vor allem bei der Zuckerrübenernte, oder verbrachte meine Zeit in Lonergan’s Schneiderei, wo ich mir viele Geschichten, hochtrabende Reden und ausgedehnte Diskussionen anhörte, während die Schneider mit gekreuzten Beinen auf ihren Tischen saßen und arbeiteten. Eines Tages, als ich gerade einen Freund besuchte, hörte ich zum ersten Mal eine Schallplatte von den Clancy Brothers und Tommy Makem. Ich war fasziniert von der Musik, den Liedern, und dem kraftvollen Klang der Stimmen, aber vor allem war ich beeindruckt von dem großartigen Sinn für Humor, der da aus dieser Musik zu mir sprach. Ich begann mich nun zusehends für die lokalen Varietévorstellungen zu interessieren und trat später auch einer örtlichen Theatertruppe bei, mit der ich eine Aufführung von P. H. Pearse’s „Iosagàn“ auf die Bühne brachte. Ich nahm außerdem an anderen Varietévorstellungen teil, bei denen ich die Gelegenheit hatte, meine Fähigkeiten als Schauspieler, Sänger und Tänzer unter Beweis zu stellen und zusammen mit einigen der großen Unterhaltungs- und Showkünstlern der Region die Bühne zu teilen. Als endlich die Zeit gekommen war, um Cappoquin und die Grafschaft Waterford zu verlassen, brach es mir schier das Herz. Die Familie zog nun so hoch in den Norden, wie noch keiner von uns bisher gereist war. Und noch etwas war anders: Es blieben jetzt nur noch mein Vater, meine Mutter, meine jüngere Schwester und ich – die anderen Mädchen hatten ihr Zuhause bereits verlassen und sich aufgemacht, ihr eigenes Leben zu leben.
County Louth
Wir lebten für ungefähr vier Jahre in der Grafschaft Louth (die man auch die winzige Grafschaft nennt), gerade etwas außerhalb der Stadt Dundalk, wo ich die Christian Brothers School besuchte. In dieser Gegend Irlands spielten die Männer Gaelic Football und das Publikum verfolgte die Spiele mit großer Leidenschaft. Nach meinem beinahe an Berühmtheit grenzenden Ruf auf den Hurling-Feldern West-Waterfords traten nun der Football, die Schule und auch sämtliche akademischen Ambitionen, die ich vielleicht einmal gehegt haben mochte, gründlich in den Hintergrund. Meine Freunde waren jetzt zum größten Teil junge Landarbeiter aus der Gegend um Dundalk, deren Gesellschaft ich in vollen Zügen genoß. Um diese Zeit herum kam meine Familie endlich in den Besitz eines Plattenspielers, zusammen mit einigen LPs, darunter auch einige Alben von den Dubliners und den Chieftains. Ich wußte sofort: Dies ist meine Musik. Ich begann umgehend, einige dieser großartigen Lieder zu lernen und benutzte eine alte Plastikwanne meiner Mutter als Ersatz für die Bodhràn (die irische Rahmentrommel). Während der Schulferien und der Ernte arbeitete ich mit meinen Freunden auf den Feldern, an den Wochenenden tranken wir Bier, erzählten uns Geschichten und sangen gemeinsam Lieder bevor wir uns schließlich auf den Weg zu den lokalen Tanzveranstaltungen machten. Über die Wintermonate beteiligte ich mich an den kleinen Varietékonzerten, die im Gemeindesaal gegeben wurden. Der großartige Tommy Makem, der ganz in der Nähe wohnte, gab sich ab und an die Ehre, genau wie die berühmte „Sands Family“, die oft hier in der Gegend auftrat.
Dublin
Schließlich näherte sich auch unsere Zeit in der Grafschaft Louth ihrem Ende und wir machten uns auf den Weg nach Dublin. Es sollte für uns alle das erste Mal sein, daß wir in einer großen Stadt lebten. Ich brauche wohl nicht groß erwähnen, daß mich das Stadtleben geradezu magisch anzog und ich mich auch schnell in die Eigenheiten dieser vor Leben pulsierenden Stadt einfand. Während der 60er und 70er Jahre erlebte Irland gerade eine Zeit, die später als der „Ballad Boom“ in die Geschichtsbücher Einzug halten sollte. Zusammen mit diesem Phänomen sah das Land auch die große Wiederbelebung der traditionellen irischen Musik, angeführt von Bands wie den „Chieftains“, „Planxty“ und „De Dannan“. Dublin war das Nervenzentrum dieser Bewegung. Ich hätte an keinem besseren Ort leben können. In Dublin kaufte ich mir schließlich auch mein erstes echtes Bodhràn und begann außerdem damit, die Tin Whistle zu erlernen. Innerhalb kürzester Zeit fand ich mich als festen Bestandteil diverser Tanz- und Lieder-Sessions im Herzen der Stadt und lernte viele der bekanntesten Musiker kennen, in Bars wie dem O’Donoghoes, The Brazen Head, The Van Gogh und The Stags Head. Viele von uns machten sich nun daran, ihre eigenen Bands zu gründen und Konzerte zu geben. Einen großen Teil meiner Freizeit verbrachte ich damit, kreuz und quer durch Irland zu reisen, Festivals zu besuchen und an traditionellen Musikwochenenden teilzunehmen. Auf diesen Reisen bekam ich auch endlich wieder die Gelegenheit, meine alten Kontakte in Clare aufzufrischen. 1978 gab ich mit der Band „Na Seanchi“ mein erstes großes Konzert auf dem Ballyshannon Folk Festival in der Grafschaft Donegal, auf dem auch andere, weitaus bekanntere Bands auftraten, wie z.B. „De Dannan“, „Na Fili“ und noch eine ganze Reihe weiterer großer Namen. Während der 1970er Jahre gewann die Welle der wiederbelebten irisch-keltischen Kultur immer weiter an Kraft und erfaßte schließlich ganz Mitteleuropa und auch andere, weiter entfernte Gegenden der Welt. Ich sah mich um und entschied, daß ich diese Gelegenheit auf keinen Fall verpassen durfte, und so gründete ich im Jahre 1980 zusammen mit meinem Freund Pauric McNeela aus der Grafschaft Mayo die „Anna Liffey Folk Group“ und begann ernsthaft, durch die Welt zu touren.
Deutschland
Nach einer Zeit des Umherreisens entschied ich mich schließlich, im damals noch geteilten Berlin seßhaft zu werden. Ich wurde Teil einer einzigartigen Gemeinschaft aus Musikern und Künstlern aus der ganzen Welt, die sich alle Berlin als ihre neue Heimat ausgesucht hatten. Ich stelle mir gerne vor (nicht wirklich bescheiden!), daß wir eine nicht ganz unwesentliche Rolle dabei spielten, die Berliner Bevölkerung während dieser Jahre des kalten Kriegs mit unserer Musik zu unterhalten. Ich habe seitdem mehrere Plattenaufnahmen gemacht und unzählige Konzerte mit einer ganzen Reihe irischer Folkbands gegeben, darunter Namen wie "An Tàin", "The Irish Weavers", "Inish" und mit der Band "Tailteann". Ich hatte die Gelegenheit weit zu reisen und viele Auftritte zu bestreiten, vor allem in Europa, Australien und Amerika. Während ich regelmäßig durch Deutschland tourte, bot sich mir auch zweimal die Möglichkeit, an der sehr renommierten "St. Patricks Day Celebration"-Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz teilzunehmen und vor Zehntausenden von Zuschauern zu spielen. Am besten bekannt bin ich wahrscheinlich für meine unverwechselbare Stimme. In den vielen Jahre meiner Tätigkeit als Musiker habe ich meine natürlichen Begabungen stetig weiterentwickelt und zu einer professionellen Bühnenpräsenz verdichtet. Außer dem Gesang beherrsche ich noch eine Reihe verschiedener Instrumente, wie z.B. die Tin Whistle und Percussion. Neben mehreren Auftritten bei internationalen Radio- und TV-Produktionen bot sich mir auch die Gelegenheit, mit dem deutschen Sänger und Liedermacher Reinhard Mey eine Platte aufzunehmen und ihn bei einem Konzert in der Berliner Deutschlandhalle zu begleiten. Während meiner Reisen um die ganze Welt traf ich auch viele der Musiker, die mich schon früh beeinflußten und inspirierten, wie z.B. die Dubliners, De Dannan, Christy Moore und andere. Bei diesen Gelegenheiten haben wir so manches Glas miteinander getrunken und auf die Musik angestoßen, die wir alle so sehr lieben. In den letzten Jahren begann ich verstärkt, eigene kulturelle Veranstaltungen zu organisieren, allem voran das "Berlin Irish Summer Folk Festival", und arbeite auch regelmäßig mit der Kulturabteilung der irischen Botschaft in Deutschland zusammen. Zur Zeit arbeite ich mit meiner eigenen Band „The Robbie Doyle Band“, welche aus Top-class Musikern von Irland und Deutschland zusammengesetzt ist.
Außerdem beschäftige ich mich im Moment mit meinem Solo Projekt, welches den Titel: „Mein Irland- Meine Grüne Insel“ trägt und Fotos, Musik, Songs und Geschichten enthält.
Im Jahr 2020 feierte ich mein 40jähriges Bühnenjubiläum mit meinem letzten Album:
„Many´s the Mile“, welches großen Erfolg hatte.
Ich hoffe, sie alle bald in einem meiner Konzerte, Events oder Festivals zu sehen.